Im Juni erklang regelmäßig ein zartes Singsang von Draußen. Die jüngste Nachbarstochter lag auf dem Gartentisch und schaute summend in den sommerlichen Abendhimmel.
Wann schaue ich noch nach oben? In den letzten Monaten blieb mein Blick meistens auf die Erde, auf unsere Familienhöhle und auf den Laptopbildschirm gerichtet. Aber manchmal überredeten mich der Flugzeuglose Himmel und der Mond, ab und zu mal in den Himmel zu schauen. Wie tröstend ist doch dieser Blick!
Nun ist Juli und meine Reisetasche gepackt. Die Eifel ruft mich und ich freue mich, die Landschaft wieder spüren zu können und die Matronenreise im September vorbereiten zu können. Aber nicht nur die Landschaft ist einzigartig, sondern auch der Sternenhimmel. Nicht umsonst wirbt der Nationalpark mit dem Label “Sternenpark”(1). Es ist für westeuropäische Verhältnisse dort erstaunlich dunkel. Unsere Ahninnen kannten den Himmel auswendig, sie schauten selbstverständlich öfter nach oben und verewigten unten auf der Erde ihre himmlischen Symbole: Zum Beispiel das Sternenbild des Großen Bären.
Göttin Artio
Auf der Erde kommt der Bär natürlich öfter vor: In einer Felsenschlucht der Südeifel finden wir eine Inschrift “Artioni Biber” tief eingemeißelt: Jemand mit dem Namen Biber weihte der Göttin Artio diesen kurzen Schriftzug aus Dank für ihre Hilfe. Eine weitere Eingravierung spricht von Tertius ertinus Ursulus. Das Wort Ursulus (Bärchen) verweist nach einem Bären, genauer gesagt, nach einer Bärin (2,3). ”Artio” wird seit der Eisenzeit der keltischen Bärengöttin zugeschrieben: Der Name Artio ist vom keltischen “art”abgeleitet und bedeutet Bär. Die kurze Inschrift ist somit eine Weiheinschrift für die einheimische Göttin, der Großen Bärin: Eine Göttin des bewaldeten Landes, der brachen Erde und des von Menschen unbebauten Landes.
Der Bär als Kraftsymbol
Bei den Schamanen ist der Bär ein bedeutendes Krafttier: Der Mensch kann Heilung finden und zu seiner Ganzheit (wieder) gelangen, wenn er die Kraft des Tieres kennt und in seine Handlungen einfließen lässt (4). Schwangere und junge Mütter baten um deren Segen. Auch andere Götter wie Artemis, die die Vorsilbe „Art“ mit Artio gemeinsam hat, trat gelegentlich in Gestalt einer Bärin auf.
In der christlichen Mythologie des Mittelalters wurde der Bärenmutter nachgesagt, dass erst durch das Belecken ihrer Kinder sie ihnen die physische Gestalt gaben. Die Bärin wird zu einem Symbol Marias, die damit in einer Linie mit Artio und Artemis tritt (5).
Auch im Märchen wird der Bär oft als gutmütig erkannt: Die Mutter von Schneeweißchen und Rosenrot öffnet ihm ohne Scheu die Tür. Alle drei Frauen pflegen ihn gesund (7). Hier sehen wir Schneeweißchen und den Bär in einer Filmbearbeitung der 7o er Jahre.
ARTIO und ARDUINNA
Artio hält ihre beschützende Hand über die Eifel- zusammen mit Arduinna, der Göttin der Ardenen (8). In den belgischen Ausläufern der Eifeln vereinigen sie sich in der Landschaft mit ihren Naturwesen. Beide Göttinnen sind die Verkörperung der Landschaft und deren Mythologie: Unter ihren schützenden Händen kommen die Pflanzen, die Tiere und der Mensch zusammen. Sie bringen uns zur Quelle, um Heilung zu erfahren (9).
Die Bärin zeigt uns wie es geht: Wir brauchen Kraft für unsere Kinder, unsere Geliebten – für unser Sein. Wir dürfen die Kraft zulassen um leben zu können und es verteidigen – also brüllen- zu können. Die Bärin setzt ihre Kraft gut ein, die sie in den langen Wintermonaten in der dunklen Höhle gesammelt hat (2). Nach dem “Erwachen mit neuem Leben im Bauch” können auch sich wieder Dinge in unserem Leben vermehren, Dinge, die wir bereits totgeglaubt haben. (9)
Also schauen wir öfter zum Himmel
Die lateinische Bezeichnung des Großen Bären ist “Ursa maior”. Das würde bedeuten, dass es sich eher um eine Bärin handelt. Eigentlich müsste also das Sternbild “Große Bärin “heißen (2).
Als Krafttier weist sie uns den Weg:
Ruh dich aus.
Gönn dir eine Pause.
Fall ins Sommerloch.
Schau in den Himmel.
Lass dich umarmen von der Großen Bärin.
Und vielleicht finde ich auf meiner Eifelreise einen Kuschelbär als Souvenir für meine weise kleine Nachbarin.
Alles Liebe
Juliane
Herzlichen Dank Joanne, dass ich dein Bild als Titelbild benutzen darf.
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INFOthek » weitere Inspirationen
- Nationalpark Eifel https://www.nationalpark-eifel.de/de/nationalpark-erleben/sternenpark/
- Joanne Foucher: Unsere heimischen Göttinen neu entdecken. Saarbrücken, 2020. https://www.joannefoucher.com/goettinnen-buch.html
- Judith Mies und Kurt Derungs: Magische Eifel. Grenchen, 2012.
- Marielu Lörler: Hüter des Alten Wissens. Darmstadt, 2001
- Inana- Schule für Geomantie und Schamanismus: Unsere Tiergeister: der Bär https://www.youtube.com/watch?v=C1kr4TfdRC4
- Stefan Brönnle: Märchen- mythologische Brücke zu einem neuen Erdbewusstsein, Saarbrücken, 2018.
- Ineke Bergman: https://godinnenkracht.blogspot.com/2020/06/arduinna-godin-van-de-ardennen.html
- Arte Dea- Arduinna https://artedea.net/arduinna/
- Clarissa Pinkola Estés: Die Wolfsfrau, München 1993.
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Bei der lat. Bezeichnung „ursa major“ für das Sternbild der Großen Bärin finde ich erstaunlich, dass die Römer – deren Sprache schon patriarchal war – in diesem sternbild eine große Bärin erkannt und es nicht vermännlicht haben. Es kann sein, dass sie vom Mut und der Hingabe der Bärin für ihre Kinder, die sie beobachtet hatte, so beeindruckt waren, dass die weibliche Bezeichnung des Sternbilds für sie selbstverständlich war. Vielleicht hat es auch mit der Jahreszeit zu tun. Das Sternbild ist nämlich dann zu beobachten, wenn Bärinnen sich in eine Höhle für die Winterzeit zurückziehen. Dort wird eine Bärin gebären und ihren Nachwuchs nähren.